Demokratische Republik Kongo
Aufbau einer medizinischen Fakultät an einer kongolesischen Universität
Dr. Andreas Schreiner
Das Projekt befasst sich mit dem Aufbau einer medizinischen Fakultät an einer örtlichen Universität. Es handelt sich um die „Université Libre des Pays des Grands Lacs (ULPGL)“ in der Stadt Goma, die am Ufer des Kivu-Sees liegt und Grenzstadt zu Rwanda ist.
Die „ULPGL“ hat vor wenigen Jahren beschlossen, eine medizinische Fakultät einzurichten. Seither vollzieht sich deren Entwicklung in etwas holpriger Weise. Ein Teil dieses Aufbaues der Fakultät ist die Entwicklung von Krankenhäusern, die als Universitätskliniken fungieren. Deshalb unterstütze ich das „Bethesda-Krankenhaus“ im Fach Orthopädie-Unfallchirurgie. Es geht viel um Deformitätenkorrektur, entweder posttraumatisch, nicht selten nach Schussverletzung oder in der Kinderorthopädie, angeboren oder infektionsbedingt.
Behandlungsstrategien bestehen zum Beispiel in Osteotomien, Wachstumslenkung und Defekt-Behandlung mithilfe der Masquelet-Technik. Die Marknagelung war schon vor meinem Engagement gut etabliert und eigentlich alltäglich. Für die Handchirurgie und die Fußchirurgie wäre noch viel Raum für Verbesserung und Entwicklung, vor allem hinsichtlich Defektdeckung und Deformität, welcher Genese auch immer. Mir ist wichtig, dass ich nicht in erster Linie in den Kongo reise, um selbst Patienten zu behandeln. Meine Absicht ist vielmehr, das Spektrum der Eingriffe zu erweitern, welche den einheimischen Kollegen zur Verfügung stehen. Dadurch, dass ich Instrumente und Implantate dorthin gebracht habe, sind nun schon eine Reihe Operationen möglich geworden, die zuvor in dieser Klinik nicht gebräuchlich waren.
Klassische Kinderorthopädie macht einen Teil der Problemstellungen aus. Die Hüftdysplasie ist nicht so selten wie in Europa immer angenommen wird. Ultraschall-Screening gibt es nicht, so dass die Krankheit erst im Kleinkindalter durch ein Hinken auffällt. In der Regel wird dann die Becken-und Femurosteotomie notwendig.
Offene Frakturen mit größeren knöchernen Defekten sind bei Jugendlichen sehr häufig. Entweder als Folge von Straßenverkehrsunfällen, aber auch von Schussverletzungen. Die Masquelet-Technik ist sehr hilfreich in diesen Situationen.
Offene Unterschenkelfrakturen haben ihren Grund oft im chaotischen Straßenverkehr mit unzähligen „Motorrad-Taxis“.
Aber auch der Krieg ist ständig gegenwärtig. Bewaffnete Gruppen, die vom Nachbarland Rwanda gesteuert werden, bedrohen eigentlich immer die Stadt Goma, so dass zwar nicht in der Stadt, aber doch in deren Umgebung ständig geschossen wird.
Manchmal reicht die normale externe Fixation nicht, so dass der Ilizarov-Fixateur zum Einsatz kommt, den ich einmal dorthin mitgebracht habe, nachdem eine Behandlung eines meiner Patienten in Deutschland damit abgeschlossen war.
Eingriffe, die in diesem Sinne zum ersten Mal im dortigen Operationssaal stattfinden, assistiere ich meistens und bemühe ich mich dabei, nicht zu lehrerhaft aufzutreten. Denn der einheimische Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, Dr. Elie Sondirya, ist wirklich sehr kundig und uns europäischen Chirurgen in der Kompetenz in keiner Weise unterlegen. Er nimmt aber meine Assistenz an, wenn Material zum Einsatz kommt, das ihm zuvor nicht zur Verfügung stand. Wenn er etwas noch nie erlebt hat, wie z. B. eine Ilizarov-Konstruktion, bittet er mich, die Operation auszuführen.
Es geht mir also immer darum, Unterstützung für die Aktivität der Kollegen anzubieten. Nicht darum, selbst die Initiative oder Leitung bei der Behandlung einzelner Patienten zu übernehmen.
Dabei ist noch sehr viel zu tun. Bei meinem letzten Aufenthalt haben wir die Hemiarthroplastik für das Hüftgelenk zum ersten Mal realisiert. Ich werde bei meinem nächsten Besuch die Totalendoprothese der Hüfte einführen. Dafür müsste man einen Nachschubweg für Implantate organisieren und eine Möglichkeit für deren Finanzierung finden. Das Problem bei der Versorgung von Verbrauchsmaterial zeigt sich unmittelbar am Beispiel der Osteosynthese-Schrauben. Ich habe vor einer Weile eine gewisse Anzahl von 3,5 und 4,5 mm Schrauben dorthin gebracht, die mir eine Spaichinger Medizintechnik-Firma als Spende überlassen hat. Die häufigen Längen dieser Schrauben waren bald aufgebraucht, sodass jetzt längere Schrauben während der Operation mühsam gekürzt, Spongiosa-Schrauben an Stelle von Corticalis-Schrauben verwendet und weitere Schrauben zu einem hohen Preis einzeln auf einem sehr begrenzten Markt erworben werden müssen.
Wegen des fehlenden Screenings sind wir mit der kinderorthopädischen Krankheit Hüftdysplasie auch im Erwachsenenalter konfrontiert. Eine Option, für die eine Seite war hier die Chiari-Osteotomie, die genau für die Hüftdysplasie im Erwachsenenalter erfunden wurde. Für die andere Seite haben wir uns für ein künstliches Gelenk entschieden.
Es kommen spannende Fälle von Wachstumslenkung vor. Wie bei diesem Jungen, der zu Beginn der Behandlung fünf Jahre alt war. Der Beginn der Behandlung in so geringem Alter war notwendig, weil die Deformität so invalidisierend war, dass die Einschulung im folgenden Jahr wohl nicht möglich gewesen wäre.
Ich habe deshalb den Wunsch entwickelt, eine örtliche Schrauben-Produktion aufzubauen und angefangen, in Form eines Technologie-Projektes zusammen mit der Hochschule Furtwangen daran zu arbeiten. Was Osteosynthese-Platten und vor allem Winkelplatten angeht, ist die Materialsituation nicht ganz so angespannt. Denn das Kreisklinikum Tuttlingen hat mir eine Reihe Stahlimplantate überlassen, die dort nicht mehr gewünscht wurden. Für derart ausrangiertes Material wäre ich weiterhin dankbar.
Trotz all der geschilderten Probleme ist die Unterstützung dieser Klinik vergleichsweise leicht. Die größere Schwierigkeit liegt in der Gestaltung eines Studienganges. Da es derzeit noch keine Absolventen des Studienganges oder gar akademisch weiter fortgeschrittene Personen im Fach Medizin gibt, hat die ULPGL erhebliche Mühe, Professoren zu rekrutieren. Sie muss vielfach auf Personen aus dem, meist afrikanischen, Ausland zurückgreifen. Ein Teil des Projektes besteht also darin, Personen zu finden, die Freude daran haben, an der Gestaltung einer medizinischen Fakultät als Lehrende teilzunehmen. Ungemein helfen würde dabei, wenn man Lehrpersonal für die vorklinischen Fächer fände. Denn darin besteht eine der größten Schwierigkeiten bei der Gestaltung des Studienganges. Für die klinischen Fächer ist es eher möglich, Ärzte aus den Kliniken der Stadt als Dozenten zu rekrutieren.
Natürlich kommt auch viel Kinder-Traumatologie vor. Hier ist ein Beispiel von ECMES/ESIN eines Femurs mit Hilfe von Ender-Nägeln, die auch aus den Beständen der Tuttlinger Klinik stammen, die in Deutschland als nicht mehr als zeitgemäß gelten.
Daneben sind wir immer wieder mit komplexen Problemstellungen konfrontiert, wie hier mit diesem Jugendlichen, der eine Legg-Calvé-Perthes-Erkrankung durchlebt hat und diese Atrophie des betroffenen Beines und Adduktions-Kontraktur zeigt, wobei der entsprechende Beckenschiefstand rigide fixiert ist.
Unter den vorklinischen Fächern ist es wiederum die Anatomie, für die es am schwierigsten ist, Lehrende zu finden. Deshalb unterrichte auch ich Anatomie.
Es wäre eine äußerst große Hilfe, wenn man Kollegen fände, für die Anatomie ein Steckenpferd ist und die Freude daran haben, dieses Fach zu lehren.
Eine gewisse Schwierigkeit bestünde vielleicht in sprachlichen Hürden. Ich selbst spreche dort Französisch. Für die Lehre wäre die Beherrschung dieser Sprache schon hilfreich. Andererseits spricht der Rektor der Universität, Prof. Kakule Molo, perfekt deutsch. Diskussion und Beratung wären also in jedem Fall möglich.
Link zur Université Libre des Paysdes Grands Lacs:
www.ulpgl.net